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Next To Normal: Das Musical-Highlight des Jahres

Next To Normal: Das Musical-Highlight des Jahres
Um es gleich vorweg zu nehmen: In dieser Rezension mögen Superlative vorkommen, jedoch sind auch diese Worte nicht mächtig genug, um das Musical "Next To Normal - Fast normal", das gerade im Stadttheater Fürth seine deutschsprachige Erstaufführung erlebt, zu beschreiben. Drama trifft auf Situationskomik, beste Darsteller auf den Alltag einer (fast) normalen Familie und der Zuschauer auf ein Wechselbad der eigenen Gefühle.

Willkommen bei den "Goodman's", einer vierköpfigen Familie deren Mutter Diana (Pia Douwes) manisch depressiv erkrankt ist. Bei dieser bipolaren Störung kämpft sie immer wieder mit großen Gefühlsschwankungen. Im ersten Moment noch voller Glück und Euphorie, fällt sie im nächsten Moment in ein großes, emotionales Loch, aus dem sie sich nur schwer wieder befreien kann. Auslöser solch depressiver Phasen sind häufig Schicksalsschläge der Vergangenheit, die nicht richtig aufgearbeitet wurden. Für Ihre Familie wird der Alltag damit zur täglichen Prüfung. Vater Dan (Thomas Borchert) versucht stets seine Familie zusammen zu halten und versteckt dabei seine eigenen Gefühle hinter einer Schutzmauer. Ganz im Gegensatz zu seiner 16-jährigen Tochter Natalie (Sabrina Weckerlin). Als fleißiges Wunderkind ist sie auf dem besten Wege die Schule mit gutem Abschluss zu bestehen und eine Virtuosin am Klavier zu werden. Ihre Mutter schenkt ihr dabei aber zu wenig Anerkennung. Natalie fühlt sich als zweite Wahl gegenüber ihrem Bruder Gabriel (Dirk Johnston) und kommt schließlich auf die schiefe Bahn, als sie Henry (Dominik Hees) kennen lernt. Dieser hält von Lernen nicht viel und nutzt die Zeit lieber zum Kiffen. Beide verbringen viel Zeit miteinander, während Natalie immer tiefer in den Drogensumpf gerät. Die Eltern bemerken dies nicht und treffen bei der Suche nach einem neuen Arzt auf Dr. Madden (Ramin Dustdar), der Diana's Krankheit mit anderen Methoden zu bekämpfen versucht.

"Next To Normal - Fast normal" ist ein dramatisches und aus der Situation heraus zugleich häufig komisches Musical. Die Charaktere werden von den Darstellern herrlich selbstkritisch und absolut authentisch gespielt. Als Zuschauer erlebt man die Geschichte stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge - und das gleich von Beginn an. Auf Pia Douwes' Wunschliste der noch zu verkörpernden Rollen war "Next To Normal" ganz oben, weil "es in seiner Form als Musical komplexe Tabuthemen entschlüsselt und diese einem breiten Publikum verständlich und vor allem emotional nachvollziehbar macht". Sie spielt die Rolle der erkrankten Mutter auf höchstem Niveau, wodurch dieses Musical erst funktionieren kann. Thomas Borchert ist "glücklich und stolz bei der deutschen Erstaufführung dieses Stückes mitwirken zu dürfen". Vater Dan hätte man ebenfalls nicht besser besetzten können, wenn Emotionen so reell übermitteln werden müssen. Ohne zu viele, inhaltliche Details zu verraten, lässt seine Schlussszene einem den Atem stocken.

Als Sohn Gabriel nimmt Dirk Johnston in "Next To Normal - Fast normal" eine besondere Rolle ein und ist für die erzeugte Achterbahn der Gefühle, die Diana auf das Publikum transportiert, mit verantwortlich. Er ist kein Bösewicht und man darf ihn nicht hassen und doch fällt es dem Zuschauer schwer seinen Einfluss auf seine Mutter zuzulassen. Als Schwester Natalie zeigt Sabrina Weckerlin im Musical die größte, persönliche Veränderung. Die Musterschülerin wird zunehmend durch ein Partygirl ersetzt, das sich reichhaltig an den Medikamenten der Mutter bedient und sogar den eigenen Freund Henry verblüfft. Mit oft trockenem Humor trifft sie dabei die Lachmuskeln des Publikums, obwohl die Situationen äußerst ernst sind. Das aufkommende Wechselbad der Gefühle - eine Meisterleistung!

Ihr Freund und Kiffer Henry verkörpert Dominik Hees symphatisch und recht unschuldig. Die Naivität der Rolle steht ihm gut. Die Arztrollen des Dr. Fine (erster Arzt zu Beginn des Stückes) und Dr. Madden (weiter behandelnder Arzt) übernimmt Ramin Dustdar. Mit seinem Schauspiel schafft auch er es das Vertrauen des Publikums zu erlangen. Seine Behandlungsmethoden nimmt man hoffnungsvoll in Kauf.

"Next To Normal" war 2009 für elf Tony Awards nominiert. Mit den Tonys für die beste Originalmusik, beste Orchestrierung und der besten Hauptdarstellerin in einem Musical mit Alice Ripley konnten drei der begehrten Trophäen gewonnen werden. 2010 folgte schließlich der Pulitzerpreis für das beste Drama, den zuvor erst sieben andere Musicals gewinnen konnten. Die Musik von Tom Kitt kommt ohne große Ohrwürmer aus. Einzelne Refrains bleiben zwar im Gedächtnis, jedoch fordert die Geschichte an sich schon so viel Raum, dass vielmehr der Liedtext verarbeitet werden muss, statt die Musik. Dennoch besteht die Geschichte zu 90% aus sehr anspruchsvollem Gesang. Besonders Thomas Borchert und Dirk Johnston müssen immer wieder hohe Töne meistern, was sie mit Bravour bestehen. Buch und Text stammen von Brian Yorkey, die deutsche Übersetzung und Regie übernahm Titus Hoffmann, der einen perfekten Job gemacht hat. Die Texte kommen nicht platt übersetzt, sondern authentisch und offen herüber.

Das Bühnenbild repräsentiert das Einfamilienhaus, in dem die "Goodman's" leben. Sechs Kästchen für sechs Darsteller, einen Esstisch und ein paar Stühle. Dies mag stark reduziert klingen, doch genau diese Mischung und der Freizeit-Kleidungsstil sorgen schließlich mit dafür, dass die Akteure persönlich und greifbar herüber kommen. Hinter dem sichtbaren Teil der Bühne ist in manchen Szenen die sechsköpfige Band unter der Leitung von Christoph Wohlleben zu sehen. Das weitere Kreativteam besteht unter Anderem aus Melissa King (Choreographie) und Stephan Prattes (Ausstattung). Für die damaligen Auditions der sechs Rollen bewarben sich über 1000 Personen.

Mit der hochkarätigen Besetzung, die für alle Vorstellungen bis zum 3. November fester Bestandteil der Show ist, einer dramatischen und authentischen Geschichte, die von der ersten Minute an fesselt und einer Situationskomik, die die Gefühle des Publikums auf eine Berg- und Talfahrt schicken, hat das Stadttheater Fürth unter der Leitung von Titus Hoffmann das Musical-Highlight des Jahres geschaffen. In der von uns rezensierten 1. Preview am 08. Oktober 2013 zögerte das Publikum nicht, um die deutschsprachige Erstaufführung mit minutenlangen, stehenden Ovationen zu feiern, wenngleich es sich hierbei noch nicht um die Premiere, die am morgigen Freitag statt finden wird, handelte. Die Preview wurde nicht unterbrochen und zeugte von höchster Professionalität, bestem Gesang und 1000% Gefühl. Unsere Erwartungen waren - insbesondere bei einer solch erfahrenen Besetzung - extrem hoch. Diese wurden überdurchschnittlich hoch übertroffen. Chapeau!



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