Diese Seite drucken

Interview mit ANATEVKA-Regisseur Stefan Huber

Interview mit ANATEVKA-Regisseur Stefan Huber

In der letzten Woche gaben die Bad Hersfelder Festspiele bekannt, dass Michael Schanze (der am Sonntag, 15.1., Geburtstag hat und 65 Jahre alt wird) in der Festspielsaison 2012 die Hauptrolle in Anatevka übernimmt. Er wird den Tevje spielen, von dem Schanze sagt: „An der Rolle des Tevje muss jeden Schauspieler besonders die Gefühlsamplitude von tiefer Trauer bis hin zu überschäumender Lebenslust reizen."


Das Musical spielt in dem kleinen ukrainischen Dorf Anatevka in einer jüdischen Gemeinde um 1905. Tevje muss sich damit auseinandersetzen, dass seine Töchter nicht der Tradition folgen. Die politischen Entwicklungen zwingen die Familie zudem, die Heimat zu verlassen. Tevje zeigt, wie man mit Veränderungen hintergründig und humorvoll umgehen kann. Seit der Uraufführung 1964 am Broadway unter dem Namen FIDDLER ON THE ROOF war das Musical ein riesiger Erfolg – und in der wunderbaren Stiftsruine in der Regie des Musical-Spezialisten und gefeierten Regisseurs Stefan Huber wird es ein ganz besonderes Erlebnis, versprechen die Bad Hersfelder Festspiele.

Deshalb Fragen an Stefan Huber zu seinen Plänen für ANATEVKA und der Besetzung der Hauptrolle.

Herr Huber, ANATEVKA oder THE FIDDLER ON THE ROOF ist ein Musical, das Sie nicht zum ersten Mal inszenieren. 1995 haben Sie es schon einmal auf die Bühne gebracht. Wenn Sie sich heute damit beschäftigen – finden Sie etwas Neues darin?

Damals hatte mich vor allem das Kennenlernen und die detailgetreue Erforschung eines anderen Kulturkreises interessiert. Ich hatte mich davor intensiv mit dem Ostjudentum auseinandergesetzt und versucht, ein möglichst authentisches Gesellschaftsbild zu zeichnen. Heute suche ich mehr das Allgemeingültige in dieser Geschichte: Themen wie „Fremd sein in der Heimat" oder das Verschwinden von Werten und Traditionen, die daraus resultierende Orientierungslosigkeit oder sich öffnenden neuen Perspektiven. Themen, die uns in unserer Welt tagtäglich begegnen.

Was gefällt Ihnen als Regisseur an ANATEVKA? Was fordert Sie daran heraus?

ANATEVKA gehört mit Sicherheit zu den besten Musicals überhaupt: ein äußerst gut gebautes Libretto mit großartigen Charakteren und witzigen Dialogen trifft auf eine ehrliche, gefühlvolle und vitale Musik. Die Herausforderung liegt heute darin, zu zeigen, dass weder die Geschichte noch die Songs verstaubt sind, sondern so direkt, so emotional und so heutig erscheinen können, wie manche moderneren Musicals es gerne wären.

Es ist eine Geschichte aus einer anderen Zeit mit anderen Problemen als die, die wir heute haben, könnte man denken – stimmt das oder ist es ein Irrtum? Was spricht Sie (als modernen Europäer) an ANATEVKA an?

Die Geschichte spielt in einer Zeit, als Europa vor einschneidenden Veränderungen stand. Revolutionen, Wirtschaftskrisen, Migration und gesellschaftlich-kulturelle Verschiebungen verunsicherten die Menschen überall. Kommt uns das heute nicht bekannt vor? Damals führte all dies unter anderem zu verheerenden Kriegen in Europa. Gründe genug, sich heute davon angesprochen zu fühlen und darüber nachzudenken, wie wir heute damit umgehen.

Was erwartet uns im Sommer 2012 in Bad Hersfeld? Was wird das besondere an Ihrer zweiten ANATEVKA-Inszenierung?

Ohne das Stück willkürlich in eine andere Zeit zu versetzen, möchte ich mit meinem Team versuchen, sie nicht altbacken oder gar museal erscheinen zu lassen. Dafür ist der Stoff zu aktuell und verträgt eine heutige Herangehensweise durchaus.

Fast jeder denkt an „Wenn ich einmal reich wär... „, wenn man über das Musical spricht. Was macht den Song so beliebt – und ist es auch Ihr Lieblingssong aus dem Musical?

Nebst seiner eingängigen Melodie erreicht uns der Song durch den offen ausgesprochenen Wunsch nach einem materiell unbeschwerten Leben; eine Sehnsucht, die wohl in jedem von uns schlummert. Außerdem gibt es in ANATEVKA viele weitere großartige Melodien, so dass es schwer fällt, eine davon zum Lieblingssong zu machen. Das „Sabbath-Gebet" mit seiner sehnsuchtsvollen Melodie und der Bitte um Schutz und Frieden berührt mich allerdings immer ganz besonders.

Sie haben in den letzten Wochen zusammen mit dem Intendanten der Bad Hersfelder Festspiele Holk Freytag Ihre Tänzer und Sänger gesucht und viele schon gefunden. Die Hauptrolle haben Sie mit Michael Schanze besetzt. Wir kennen ihn als Schlagersänger, Schauspieler, TV-Moderator für alt und jung – z. B. aus „Kinderquatsch". Wir fragen mal ganz provokant: Kann der das überhaupt?

Und ob er das kann! Michael hat die besten Voraussetzungen, diese universale Figur zu verkörpern, eine Figur, die das Komische mit dem Tragischen vereint, die das Publikum an der Hand nimmt und gleichzeitig vom Schicksal „geschüttelt" wird. Und nicht zuletzt eine Figur, die bis zur Selbstaufgabe mit sich und seiner Familie um ein bisschen Glück im Leben ringt.

ANATEVKA in der Stiftsruine, ist das eine besondere Herausforderung?

Nachdem ich schon einige Open-Air-Produktionen gemacht habe, bin ich sehr gespannt auf Bad Hersfeld, wo jedes Team vor die Frage gestellt wird: Wie setzt man ein Stück in diesem gewaltigen und dominierenden Raum der Stiftsruine um? Sicher ist das eine Herausforderung, aber eine, der man sich gerne stellt, wenn man weiß, dass man den Raum als solches annehmen muss, sich von seiner Wirkung inspirieren lässt und nicht versucht, diese „auszutricksen".

Premiere:

ANATEVKA
(FIDDLER ON THE ROOF)

Basierend auf den Geschichten von Sholem Alejchem mit ausdrücklicher Genehmigung von Arnold Perl. Buch von Joseph Stein, Musik von Jerry Bock, Gesangstexte von Sheldon Harnick. Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen.
Regie: Stefan Huber

Premiere: 19.06.2012 / 21.00 Uhr
Stiftsruine, Bad Hersfeld

Kartenzentrale
Am Markt 1
36251 Bad Hersfeld
Telefon: 06621 400755
Telefax: 06621 400770
www.bad-hersfelder-festspiele.de
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!