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Die Goodman‘s wohnen jetzt in Dortmund

Ende 2013 fand die deutschsprachige Erstaufführung des Musicals NEXT TO NORMAL in Fürth statt. Mit hochkarätiger Besetzung fand das Werk von Brian Yorkey (Buch) und Tom Kitt (Musik) große Beachtung in der Musicalwelt. Zurecht, wie auch wir in unserer damaligen Rezension feststellen durften. Anderthalb Jahre später fand für wenige Vorstellungen ein erneutes Familientreffen der „Goodman’s“ auf derselben Bühne mit nahezu gleichem Cast statt. Nun wiederum ein Jahr später zeigt eine neue Besetzung im Opernhaus Dortmund, dass das Musical weiterhin fasziniert, die Thematik immer noch aktuell ist und Zuschauer mutige Stückwahlen mit minutenlangem Applaus würdigen.

Der Blick auf die Bühne der Oper Dortmund fühlte sich schon gleich heimisch an. Auch hier zeigt sich ein Querschnitt in die Räumlichkeiten des Hauses der augenscheinlich durchschnittlichen Familie Goodman mit Mutter Diana (Maya Hakvoort), Vater Dan (Rob Fowler), Sohn Gabe (Johannes Huth) und Tochter Natalie (Eve Rades). Doch der Schein trügt. Diana ist manisch-depressiv und leidet an einer bipolaren Störung. Dies äußert sich in starken Stimmungsschwankungen und Wahrnehmungsstörungen. Seit vielen Jahren wird sie erfolglos behandelt. Darunter leidet Natalie sehr. Als Wunderkind am Klavier und ehrgeizige Schülerin wird sie von ihrer Mutter nicht wahrgenommen. Dan versucht die Familie zusammenzuhalten und ihnen zu vermitteln, dass Alles wieder gut werde. Natalie sucht nach Anerkennung und findet in Henry (Dustin Smailes) einen Freund, der sie zugleich mit Drogen in Berührung bringt. Hoffnung kommt auf, als mit einem Arztwechsel zu Dr. Madden (Jörg Neubauer) ein Fachtherapeut Erklärungen findet. Schicksalsschläge in der Vergangenheit könnten Diana’s Krankheit hervorgerufen haben. Als die Ursache gefunden und mit anderen Therapiewegen behandelt wird, gerät das Familienleben der Goodman’s noch mehr aus den Fugen.

NEXT TO NORMAL ist ein wunderbar mitreißend, zugleich äußerst nachdenkliches Werk, das durch besondere Charaktere und gekonnte Situationskomik ein schweres Thema leicht transportieren kann. Der Zuschauer wird nicht belehrt, er fühlt und erlebt die Geschehnisse hautnah mit. Damit dieser Zauber geschehen kann, ist natürliches Schauspieltalent gefragt und auch dieses wurde in Dortmund erfolgreich gefunden. Selbstverständlich stellt man Vergleiche zur Fürther Produktion her und natürlich liegt die Messlatte sehr hoch, doch ist ja genau der Vergleich der Produktionen den Darstellern gegenüber unfair. Diese sollten ja anhand ihrer Leistung gegenüber dem darzustellenden Inhalt bewertet und nicht mit Darstellern anderer Produktionsorte verglichen werden. Doch gemäß der Tatsache, dass beide Produktionen in sich auf ganzer Linie überzeugen können und jeder Darsteller seine Rolle verinnerlicht hat, zeigt der Vergleich ein identisches Ergebnis: Jeder Darsteller überzeugt mit höchst authentischer Darbietung, so dass der Zuschauer gerne auf die Bühne springen würde, um Diana’s Leiden zu stoppen, Gabe’s Einfluss zu unterbinden, Dan wach zu rütteln, Natalie vor einem Absturz zu bewahren und Henry von Natalie fernzuhalten. Gleiche Gedanken machen sich auch in der Pause im Zuschauerraum bemerkbar. „Schon lange hat mich ein Stück nicht mehr so mitgenommen“, sagte eine Zuschauerin und aus einer anderen Ecke war „Ich möchte wissen, wie es weiter geht“ zu Hören. Das bestätigt die großartige Darbietung der Dortmunder Besetzung, die den Zuschauer auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle mitnimmt. Zum Ende feiern die Premierenbesucher Darsteller und das Kreativteam mit minutenlangen, stehenden Ovationen.

NEXT TO NORMAL ist ein Musical, das als tragische Komödie von der Musik getragen, aber ohne große Ohrwürmer auskommt. Dennoch könnte die Musik nicht passender sein und unterstreicht Szenen häufig rockig und bietet viel Dynamik. Die sechsköpfige Band unter der Leitung von Kai Tietje wird diesem Anspruch absolut gerecht. Regisseur Stefan Huber leistete exzellente Arbeit und das Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter zeigt sich im Licht von Florian Franzen zerbrechlicher und durch eine bewegliche zweite Ebene, die in einzelnen Szenen weitere Räume zeigt, perspektivisch neu. Im weiteren Kreativteam sorgen Danny Costello (Choreographie), Susanne Hubrich (Kostüme), Marc Schneider-Handrup (Sound-Design) und Wiebke Hetmanek (Dramaturgie) für einen runden Abschluss.

Für Musical-Fans abseits der Jukebox-Mitklatsch-Werke, die authentische Geschichten mit realistischem Ende mögen, gehört der Besuch von NEXT TO NORMAL zum Pflichtprogramm. Nicht ohne Grund konnte das Werk 3 TONY Awards und den „Pulitzer Prize for drama“ gewinnen. Erneut konnte aus über 600 Bewerbungen ein herausragender Cast gefunden werden, der noch bis zum 11. Juni 2016 mit diesem Ausnahmewerk im Opernhaus Dortmund begeistern wird.

Fotos: Björn Hickmann / Stage Picture GmbH


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