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30 Jahre und immer stärker: STARLIGHT EXPRESS in Bochum

Am Sonntag wurde Sir Andrew Lloyd Webber mit dem TONY Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Viele seiner Musicals sind zeitlose Klassiker geworden und insbesondere bei den deutschen Musicalfans sehr beliebt. Das eines dieser Werke den Besucherweltrekord ausgerechnet hierzulande hält, hätte sicherlich auch der Komponist selbst vor 30 Jahren nicht gedacht. Grund genug also den TONY beiseite zu legen, Koffer zu packen und direkt nach Bochum zu reisen, um mit 1.700 Besucher den 30. Jahrestag des rasantesten Musicals im Universum zu feiern. Sowohl das Musical, als auch der Schöpfer selbst gehören noch lange nicht zum alten Eisen.


Jedes Kind der 90er kennt das Musical STARLIGHT EXPRESS, denn gefühlt jeder Haushalt verfügte mindestens über die Musik-Kassetten zum Stück. Und wer als Kind nicht auch nach Bochum reiste, löste zumindest in den Folgejahren sein Ticket für das Aushängeschild Bochums – häufig sogar mit eigenem Nachwuchs. Doch bis zum Aushängeschild war es ein langer Weg. Unter großen Protesten zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet zweifelten viele Gegner am Musicalstandort Bochum. 24 Milliarden Mark wurden investiert, um einzig und allein ein Musical aufzuführen. Die Kritiker bekamen auch kurzzeitig Recht, denn in den Sommermonaten nach der Premiere am 12. Juni 1988 fiel das Interesse schlagartig. Die Übertragung einer Sportsendung aus dem eindrucksvollen Theater brachte dann endlich auch die Züge in Richtung Bochum ins Rollen. Mit über 16 Millionen Besuchern ist STARLIGHT EXPRESS heute an diesem Standort das erfolgreichste Musical und das nicht nur in Deutschland. Es läuft fast doppelt so lang wie die ebenfalls beeindruckende Zahl von 7.406 Vorstellungen innerhalb 18 Jahren in London und nach über 16.000 deutschen Vorstellungen ist auch der letzte Kritiker der damaligen Zeit verstummt.

Die Geschichte, die sich an diversen Kinderbüchern orientiert, erzählt den Traum eines Jungen eine Weltmeisterschaft internationaler Züge zu veranstalten. Dabei duellieren sich vorrangig der kräftige Diesel „Greaseball“ (Ben Carruthers) und die E-Lok „Electra“ (Sjoerd van der Meer). Die alte Dampflok „Rusty“ (Blake-Patrick Anderson) scheint gegen seine neueren Mitstreiter kaum eine Chance zu haben. Als der Erste Klasse-Wagen „Pearl“ (Georgina Hagen) hinzustößt und sich für das Rennen ankuppeln will, fällt ihre Entscheidung auf die Moderneren. Nachdem „Caboose“ (Daniel Ellison) ihn dann auch noch ausbremst, verliert Rusty seinen Mut, gewinnt diesen aber wieder zurück und beweist, dass man über sich hinauswachsen kann, wenn man an sich glaubt.

Nach 30 Jahren und mehreren Besuchen in Bochums schönstem Bahnhof ist die 280 Meter lange Rollbahn mit ihren Lichteffekten, motorisierten Rampen und nicht zuletzt der neun Tonnen schweren Brücke, die in der Luft kreisend Ebenen bis zu einer Höhe von 7,5 Metern miteinander verbindet, immer noch eindrucksvoll. Doch was auf den ersten Blick unverändert wirkt täuscht. Moderne Lichteffekte, automatische Verfolger, Laserprojektionen und seit gestern Abend sogar 28 leuchtende Drohnen machen STARLIGHT EXPRESS zu einem wahren Augenschmaus. In der „Starlight Sequenz“ bietet sich durch den innovativen Einsatz der kleinen Flugobjekte ein wahnsinniger Gänsehautmoment, den das Publikum frenetisch feierte. Und auch für die Ohren gibt es mittlerweile ein Fest: Die Anzahl der Lautsprecher wurde verdoppelt, das Sounddesign von Gareth Owen komplett überarbeitet und bietet jetzt einen wirklich atemberaubenden Klang, der dem Orchester unterhalb der Bühne gerecht wird.

Musikalisch hat die zu Beginn erwähnte Kassette auch schon lange den Anschluss an die gestrige Neuinszenierung verloren. Zum 15-jährigen Jubiläum wurde bereits der Megamix durch ein größeres Medley ersetzt, das Lied „Crazy“ stieß hinzu und „Du Allein“ wurde durch „Allein im Licht der Sterne“ ersetzt.  Seit 2006 ernten die drei Frachtwagen Rocky 1 bis 3 als Hip Hopper viel Applaus vom Publikum. Seit dem 20. Jubiläum ist die Ouvertüre kürzer und der „Liebesexpress“ musste dem Lied „Dann pfeift er mir zu“ weichen. „Allein im Licht der Sterne“ wurde zudem durch „Nur mit Ihm“ ersetzt und „Dein Freund“ wurde ersatzlos gestrichen. Zum 25. Jubiläum durfte dann auch Webber’s Sohn Alastair sein Talent zeigen und komponierte das Duett „Für immer“, welches den Song „Nur mit ihm“ ersetzt. Außerdem nahm „Nie genug“ den Platz von „Ne Lok mit Locomotion“ ein.

Völlig klar, dass auch zum 30. Jubiläum Änderungen durchgeführt wurden, um dem Musical neue Impulse zu geben. Das Frauenbild soll gestärkt werden, denn schließlich sind die weiblichen Züge stets nur Anhänger der männlichen und lassen sich auch charakterlich von den impulsiven Gegenstücken einschüchtern. Der neue Song „Ich bin ich“ präsentiert „Pearl“, sowie die anderen weiblichen Züge gleich zu Beginn stärker und damit auch weibliche Züge Geschwindigkeit angeben, ist die weibliche Rennlok „Coco“ aus Frankreich nun ebenfalls im Starterfeld, wie auch „Mama“, die die Rolle des „Papa“ ersetzt. Mit Reva Rice, die 1987 als erste „Pearl“ am Broadway zu sehen war, tritt eine reife, großartige Sängerin mit kraftvoller Stimme auf und ersetzt „Papa’s“ durch „Mama‘s Blues“. Im zweiten Akt ist „Dinah“ (Rose Quellette) nun „a.b.g.e.h.ä.n.g.t.“ und insgesamt wurde am Handlungsverlauf gefeilt, um Frauen gleichberechtigt und modern zu präsentieren. Alle Änderungen entstehen dabei ausschließlich über den Komponisten und sein ursprüngliches Kreativteam bestehend aus John Napier (Kostüm, Make-Up, Perrücken, Bühnenbild), Arlene Philips (Regie, Choreographie) und Richard Stilgoe (Texte).

1. Akt 2. Akt
Ouvertüre / Auftritt der internationalen Züge
Rolling Stock
Crazy
Nennt mich Rusty
Ich bin ich
Pfeife mir zu!
Fracht
AC/DC
Pumping Iron
Coda
Crazy (Reprise)
Pearl, welche Ehre
Hilf' mir verstehen
Mama's Blues
Bummellok
Starlight Express
Rap
A.B.G.E.H.Ä.N.G.T.
Mein Spiel
Nicht der rechte Zeitpunkt, nicht der rechte Ort
Starlight Sequenz
Ich bin ich (Reprise)
Ein Rock'n'Roll zu viel
Für immer
Licht am Ende des Tunnels
Finale

Gefährlich bleibt STARLIGHT EXPRESS für die Darsteller weiterhin. Oft verletzen sie sich und setzen insbesondere ihre Knie einer großen Herausforderung aus. Reva Rice stürzte am Sonntag schwer und biss für das Premierenpublikum eindrucksvoll die Zähne zusammen.

Das Musical ist für viele der jährlich wechselnden Darsteller ein Sprungbrett in die Musicalszene. So international wie die Züge, die sie verkörpern, ist auch deren Herkunft. Ein Akzent ist dabei nicht vermeidbar. Alle Darsteller geben sich aber größte Mühe deutlich zu sprechen und letztlich passt es dann doch wieder zur Handlung. Zudem sind sie ohne Ausnahme topfit, hochprofessionell und geben allabendlich eine beeindruckende, körperliche Leistung ab. Besonders auffallend ist Blake-Patrick Anderson, der in seiner ersten Hauptrolle als „Rusty“ mit ganz großem Gefühl auch leise Töne überwältigend bedienen kann und sicher eine große Zukunft vor sich hat.

Wenn ein Musical sich so lange behaupten kann, ist nach 30 Jahren ein kontinuierlicher Feinschliff notwendig. Schlussendlich ist das das Geheimnis, welches die Besucher immer wieder in diese Show führt, um Veränderungen zu entdecken. Diese sind zur Beruhigung der Fans aber nicht so drastisch wie erwartet. Im Gegenteil: Die neue Inszenierung überzeugt auf ganzer Linie, führt nach vielen Jahren wieder zurück zum Kind sein und verdient es einfach auch noch weitere Generationen zu überzeugen, dass man Alles schaffen kann. Der neue Song „Ich bin ich“ unterstreicht den Kern der Geschichte dabei auch geschlechterübergreifend: „Ich bin ich und mehr brauch ich nicht. Seht euch an was ich kann.“ oder „Merkt’s euch mal, wir sind aus Stahl“. Zugegeben: Es klingt kindlich, aber der Sinn ist doch genau das, was auch Erwachsene oft vergessen.

Der STARLIGHT EXPRESS ist also weiterhin auf seiner Erfolgsfahrt im Ruhrgebiet. Ein Ende ist nicht in Sicht und die nächsten Generationen müssen ihre Tickets lösen dürfen.


Nachfolgende Fotos: © Starlight Express



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